Foto des Schriftstellers Thomas Mann

Katia Mann

Betrachtet man ihre Bilder, ähneln sich die beiden älteren Damen: Als Katia Mann 1980 im 97. Lebensjahr verstarb, hatte sie ein ähnliches Lebensschicksal hinter sich wie Cosima Wagner, die auch in jungen Jahren als vielseitig begabtes Talent galt, mit ihrem Gatten Richard Wagner zahlreiche Kinder hatte und ihn um fast dreißig Jahre überlebte, die letzten Jahre in Dämmerzuständen verbringend, aber dennoch hoch verehrt.

Katia Mann wurde am 24. Juli 1883 als einzige Tochter des Mathematikprofessors Alfred Pringsheim und der Schauspielerin Hedwig Dohm geboren. Beide Familien haben eine besondere Geschichte: die Pringsheims waren als Eisenbahnaktionäre zu enormem Reichtum aufgestiegen, Alfred bewohnte ein herrschaftliches Palais an der Münchner Arcisstraße, sein Vater zählte zu den Patronen von Richard Wagners Bayreuther Festspielwerk. Katias Großmutter war eine bekannte Frauenrechtlerin und Pazifistin, ihr Mann ein Redakteur der berühmten Satirezeitschrift Kladderadatsch. Die Pringsheims waren eine jüdische Familie - die Assimilation reichte aber so weit, dass die Kinder selbstverständlich christlich getauft wurden. Dennoch sollte ätzender Antisemitismus vor der Familie in den 1930er Jahren keinen Halt machen - Katias Eltern gelang es später in letzter Minute, in die Schweiz zu flüchten, bevor sich die Grenzen schlossen.

Katia wuchs mit ihrem Zwillingsbruder Klaus und drei weiteren Brüdern in einem mondänen und bildungsbegeisterten Haus auf. Sie war nicht nur eine gute Schülerin, sondern wurde als Externe 1901 zum Abitur zugelassen und nutzte diese Hochschulzugangsberechtigung auch: Als eine der ersten Frauen in Bayern schrieb sie sich an der heimischen Hochschule ein - in Physik und Mathematik. Freilich geschah dies unter Obhut des Vaters, dem Ordinarius, aber Katias akademische Karriere verlief viel versprechend. Dann eine ‚Mesalliance', Abbruch des Studiums, Karriere als Hausfrau. Katia Mann heiratete den hoffnungsvollen Schriftsteller Thomas Mann, die Eltern bespöttelten den eigenwillig "unmännlichen" Schwiegersohn, unterstützten das junge Paar aber nach Kräften und gewöhnten sich an dessen Eigenheiten.

Schon als Kind kannte Thomas Mann ein Lenbach-Bildnis der jungen Katia, in der Straßenbahn sollen sie sich dann zufällig begegnet sein - wenn da nicht auch etwas Kalkül im Spiel war! Denn Katia war eine sehr gute Partie und in vielerlei Hinsicht zur rechten Zeit am rechten Fleck: Eine Frau, mit der man Staat machen konnte, die seinem Leben einen bürgerlichen Rahmen gab. Seit 1905 hatte sie ein selbstbestimmtes Leben aufgegeben, sie war die starke Frau hinter einem sensiblen Mann. In ihrer Rolle als "Frau Thomas Mann" ging sie auf, war anscheinend auch glücklich, ja: sie genoss sie bisweilen. Sie brachte insgesamt sechs Kinder zur Welt: Erika (1905), Klaus (1906), Golo (1909), Monika (1910), Elisabeth (1918) und Michael (1919).

Im Alltag nahm ihr das Dienstpersonal eine Reihe von Haushaltspflichten ab, während ihrer ausgedehnten Kuraufenthalte in Davos, Arosa und Meran musste die Villa Poschingerstraße 1 von fremden Hände geführt werden. Mit dem Personal kannte Katia Mann zeitlebens kein Erbarmen; sie war eine Hausdame mit genauen Vorstellungen von Stil, Etikette und Comment. Das bekamen auch die Kinder zu spüren, die der Mutter noch im Alter distanziert begegneten.

Ernsthaft lungenkrank scheint Katia Mann, allen zahlreichen Sanatoriumsaufenthalten zum Trotz, nie gewesen zu sein, derlei Reisen waren auch eine Modeerscheinung. Sie begleitete Thomas Mann bei Vortragsreisen und war ihm Ratgeberin, Sekretärin und Vertraute. Manns Werk ist ohne Katia Mann, die ihrem Mann den Rücken stärkte und freihielt, kaum zu denken. Sie schuf die gediegene Atmosphäre, die Mann benötigte, um die Grenzen und Abgründe bürgerlicher Kultur auszuloten. Sie hielt die Familienbande zusammen, korrespondierte mit den Kindern, die im Zürcher Exil schon fast alle außer Haus waren. Sie verstand es dann auch, in den USA eine Atmosphäre zu schaffen, in der die Familie heimisch werden konnte. In Princeton fand sie in Molly Shenstone eine enge Freundin. Dass Thomas Mann sich gelegentlich in Knaben verschaute, blieb Katia Mann nicht verborgen, sie sah über derlei Verliebtheiten hinweg, zumal er seinen ehelichen Pflichten nachkam, wie sein Tagebuch verrät.

An seiner Seite bereiste sie die USA, verfolgte den Kriegseinsatz der Kinder Erika, Klaus und Golo, sah auch die beiden jüngsten aus dem Hause gehen. Michael Mann machte sie zur stolzen zweifachen Großmutter. Ihr gelang es, die Operation Thomas Manns in Chicago für ihren Mann wie eine Routine erscheinen zu lassen, war treue Begleiterin, während das Werk wuchs. Sie kümmerte sich in Kalifornien um Heinrich Mann, mit dem sie sich zeitlebens zu siezen pflegte.

Zurück in der Schweiz bezog die Familie Ende 1952 das Haus in Erlenbach, um die Einrichtung eines weiteren hatte sie sich noch kümmern müssen. Ein letzter gemeinsamer Höhepunkt war die Feier des 50. Hochzeitstages; als Thomas Mann am 12. August 1955 an ihrer Seite verstarb, war ihr Leben noch lange nicht zu Ende. Katia Mann blieb an der Klichbeger Landstraße wohnen, empfing Besucher, gab Interviews, pflegte das Andenken ihres Mannes, auch wenn Erika sich auf diesem Feld besonders hervortun sollte. In der Folge mehrer Unfälle verlor die Tochter zunehmend an Kraft, Katia kümmerte sich um sie. In Zürich war Katia Mann berüchtigt für ihre rabiate Fahrweise, die sie den Führerschein kostete.

Auch im hohen Alter war sie viel auf Reisen, so in Israel, den USA. Den Kurort Wildbad Kreuth besuchte sie regelmäßig. Nach Erikas Tod kümmerte sich vor allem Golo um seine Mutter - keine leichte Aufgabe, wie er betonte, denn Katia führte auch im Alter ein strenges Regiment und achtete auf ‚gute Manieren'. Golo und Elisabeth verschonten die Greisin schließlich mit der Nachricht, dass ihr jüngster Sohn Michael sich am Neujahrstag 1977 das Leben genommen hat. Am 25. April 1980 starb Katia Mann, die nur ein einziges Buch publizierte, dem sie den Satz voranstellte, es müsse ja wenigstens einen Menschen in dieser Familie geben, der nicht schreibe. Nicht nur durch ihre Ungeschriebenen Memoiren hat sie sich in die Erinnerung an diese so besondere Familie eingeschrieben.