Der Autor und sein Verlag: Ein besonderes Verhältnis

Bei keinem anderen Autor des Verlags ist die Biographie des Werks und der Person so eng mit dem Werdegang des Hauses verknüpft wie bei Thomas Mann, dessen Werk seit über 100 Jahren bei S. Fischer erscheint.
"Ich war ein elfjähriges Kind, als er in Berlin seinen Verlag gründete", schrieb Thomas Mann 1934 anlässlich des Todes von Samuel Fischer. "Zehn Jahre später war es der Traum jedes jungen Literaten, ein Buch bei S. Fischer zu haben, und meiner auch." Dieser Traum begann, als der 22-jährige Thomas Mann seine Novelle Der kleine Herr Friedemann 1897 an die Redaktion der Neuen Deutschen Rundschau sandte, eine der bekanntesten Zeitschrift für neue Literatur im deutschen Sprachraum. Redakteur Oscar Bie erkannte in Tonfall und Stil eine "erwachsene Moderne" und bat den Debütanten, all seine Texte einzuschicken. In der Reihe ‚Collection Fischer' erschien sogleich ein Novellenband unter dem Titel der ersten Erzählung. Thomas Mann war Autor des aufstrebenden Verlages der literarischen Moderne geworden - seine Kollegen hießen Hofmannsthal, Hauptmann, Schnitzler und später Hesse. 

Der Verleger Samuel Fischer schrieb ihm begeistert: "Ich würde mich aber freuen, wenn Sie mir Gelegenheit geben würden, ein größeres Prosawerk von Ihnen zu veröffentlichen, vielleicht einen Roman, wenn er auch nicht so lang ist". Dass Buddenbrooks im Jahr 1900 dann fast 1.000 Seiten umfassen würde, hätten sich Autor, aber vor allem der Verleger nicht ausmalen können. Fischers Reaktion: "Glauben Sie, dass es Ihnen möglich ist, Ihr Werk um etwa die Hälfte zu kürzen, so finden Sie mich im Prinzip sehr geneigt, Ihr Buch zu verlegen [...] Ich weiss, dass ich Ihnen eine ungeheuerliche Zumuthung stelle". Thomas Mann bestand auf der ursprünglichen Länge seines Familienepos und belastete die noch frischen Bindungen zum Renommierverlag S. Fischer. Der Verleger ließ sich jedoch überzeugen und druckte den ersten Roman des jungen Autors, dessen Buch sich in den Anfangsjahren trotz Kritikerlobes nicht recht verkaufen sollte - noch nicht, denn Buddenbrooks avancierte innerhalb der nächsten Jahrzehnte zu einem Dauerbrenner mit Millionenauflage. Thomas Mann gehörte nun zu den regelmäßigen Gästen der Berliner Salons, die Samuel Fischer mit seiner Frau Hedwig veranstaltete; Fischer war Verlegerpersönlichkeit alten Schlags und ließ es sich nicht nehmen, mit Autoren wie Thomas Mann ein enges Verhältnis zu pflegen.
Die Jahre nach dem Erscheinen von Buddenbrooks standen im Schatten des Debüterfolgs, Mann war auf der Suche. 1903 folgte der Erzählungsband Tristan, 1906 die umstrittene Novelle Wälsungenblut, deren erste Druckfassung Fischer auf Verlangen seines Autors einstampfen ließ, weil er mit dem Familieninzestmotiv in Bezug auf die eigene Familie zu weit gegangen war. 

Roman, Königliche Hoheit wieder Erfolge feiern. Immerhin wurde der Roman goutiert, aber für den Verlag keinen Verkaufsschlager wie der Erstling darstellte. Im Jahr 1922 startete S. Fischer die erste Gesamtausgabe von Thomas Manns Werk - ein Wagnis und verlegerisches Risiko. Bald konnte ein neuer Band in diese Sammlung aufgenommen werden:
Der Zauberberg. Das "verschleppte Roman-Untier", wie Mann es nannte, folgte nach langer epischer Pause und Ausschweifungen in die Gefilde der politischen bzw. unpolitischen Schriftstellerei. Die Erstauflage dieses 1.200 Druckseiten zählenden und mit 21 Mark für die Ganzleinenausgabe sehr teuren Buches war binnen Tagen verkauft; im Jahr 1928 waren bereits 100.000 Exemplare verkauft, dann folgte der Literaturnobelpreis für die Buddenbrooks. Ein konkurrierender Verleger brachte den Plan einer Volksausgabe ins Gespräch, vor der Samuel Fischer noch zurückschreckte, dann aber eine spektakuläre Sonderausgabe zum Niedrigpreis von 2,85 RM auf den Markt brachte. In den kommenden Jahren erschienen 19 Sonderauflagen. Diese Vermarktungspraxis, auf die Mann gedrungen hatte, war rasch in die Kritik der Verlegerzunft geraten.

Dass Thomas Manns Werk heute derart geschlossen bei S. Fischer vorliegt, hängt mit der gemeinsamen Geschichte der Emigration zusammen. Erst wurde der Autor expatriiert, später - wie Mann und seine Kinder fanden, sehr spät - kehrte auch S. Fischer dem nationalsozialistischen Deutschland den Rücken zu. Unterdessen war der Verleger Samuel Fischer verstorben und sein Schwiegersohn Gottfried Bermann Fischer übernahm 1934 die Geschicke des Hauses in schwieriger Zeit und entschloss sich, zunächst im Deutschen Reich zu bleiben, eine Weichenstellung, die Mann lange mittrug, denn nur so konnte er den deutschen Lesern präsent bleiben. 1936 schlug der Verlag zunächst in Wien, dann mit neuem Partner in Stockholm seine Zelte auf. Wegen der Exilsituation für Autor und Verlag war Thomas Manns Werk in Deutschland kaum mehr greifbar, die Buchhandelskanäle waren ausgetrocknet. Dennoch begann der Verlag mit einer neuen, der berühmten Stockholmer Gesamtausgabe. Während des Krieges erschien der Joseph und seine Brüder und Lotte in Weimar, trotz widriger Umstände hielten sich Autor und Verlag gegenseitig die Treue. Nach einer Flucht um die ganze Welt nach Kalifornien eröffnete Bermann Fischer den Verlag in New York in Kooperation mit Fritz Landshoff wieder. Unterdessen erschienen nicht nur Bücher Thomas Manns bei S. Fischer, sondern auch Titel seiner Kinder Erika und Klaus.
Thomas Mann hielt dem Stammhaus Fischer auch die Treue, als Peter Suhrkamp, der in Berlin verblieben war und 1945 bereits eine Lizenz der Alliierten erhielt, seinen eigenen Verlag gründete und 30 der 44 Hausautoren, darunter Hesse und Brecht, mitnahm. Seit 1950 sitzt der S. Fischer Verlag in Frankfurt a. M., Lektoren wie Rudolf Hirsch oder J. Hellmut Freund besorgten die Ausgaben von Thomas Mann, dessen Werk nunmehr in zahlreichen Ausgaben greifbar wurde. Nach dem Tode Thomas Manns besorgte Erika Mann eine erste Briefausgabe, ein Dutzend einzelne Briefwechselausgaben kamen über die Jahre hinzu.
1952 wurde die Fischer Bücherei gegründet, die ab 1966 als Fischer Taschenbuch Verlag weiter geführt wurde; er sprach ganz neue Leserschichten an und förderte die Thomas Mann-Rezeption somit entscheidend. Der 100. Geburtstag im Jahr 1975 wurde durch zahlreiche Sonderaktionen und Sammelbände sowie durch eine Ausstellung gewürdigt - die Verkaufszahlen des als Bourgeois apostrophierten Autors stagnierten.

In dieser Situation, im Jahr 1980, initiierte der S. Fischer Verlag die Frankfurter Ausgabe, die zum 100-jährigen Verlagsjubiläum abgeschlossen wurde, 1977 wurde bereits mit der Edition der Tagebücher Thomas Manns begonnen, an der Peter de Mendelssohn und später Inge Jens arbeiteten. Selbst Katia Mann sollte ihr einziges Buch, die Meine ungeschriebenen Memoiren beim Hausverlag S. Fischer veröffentlichen. Seit 1957 verlegte Golo Mann seine bedeutendsten Bücher wie die Deutsche Geschichte, den Wallenstein und seine Erinnerungen und Gedanken bei S. Fischer. Über viele Jahre war er Herausgeber der Neuen Rundschau, der Debützeitschrift seines Vaters.
Anerkennung und Dank des Verlages für eine über Jahrzehnte währende Zusammenarbeit mit der Familie Mann ist die Große kommentierte Frankfurter Ausgabe (GKFA), die auf editionsphilologischer Grundlage eine lesbare, ja populäre, Kommentierung bietet. Der S. Fischer Verlag begreift es nach wie vor als Herausforderung, die Texte Thomas Manns ansprechend und philologisch sachgerecht vorzulegen und einem möglichst breiten Publikum anzubieten, den Klassiker in immer wieder neuer Gestalt zu präsentieren und neuen Lesern vorzustellen.