Interviews

»Erinnerungen sind am tiefsten, wenn sie mit Gefühlen verknüpft sind«

Paul Maar erzählt in »Wie alles kam« den Roman seiner Kindheit. Nun hat er mit uns über kindliches Urvertrauen, Agentenbesuche im Krankenhaus und die Bedingungen für das Schreiben von Kinderbüchern gesprochen.

Lieber Paul Maar, »Wie alles kam« trägt den Untertitel Roman einer Kindheit. Wie viele Kindheiten hatten Sie?

Genau genommen drei: Die glückliche, frühe Kindheit mit einem zugewandten Vater, dann die abenteuerliche, Tom Sawyer-ähnliche  Kindheit im fränkischen Dorf, schließlich die unglücklichen Jahre nach der Rückkehr des veränderten Vaters aus Krieg und Gefangenschaft.

 

Ihre Geschichten haben unzählige Kindheiten begleitet. Nun haben Sie mit »Wie alles kam« den Roman Ihrer Kindheit geschrieben. Wie kam dieser Wechsel zustande und warum jetzt?

Im letzten Jahr hatte ich eine Herzoperation in der Uniklinik Erlangen, die auch hätte tödlich enden können. Anschließend war ich drei Wochen in einer Reha-Klinik. Dort hatte ich reichlich Gelegenheit über mein »gerettetes« Leben nachzudenken. Dazu kam, dass mich unser Sohn Michael zusammen mit seinem Literaturagenten der Klinik besuchte. Der Agent sagte: »Herr Maar, wenn ich ihr Agent wäre, ich wüsste, was ich Ihnen raten würde. Sie sollten als nächstes ein Buch für Erwachsene schreiben. Es gibt so viele Leser, die das Sams kennen und gerne wüssten, wer eigentlich hinter dieser Figur steckt, wer die sich weshalb ausgedacht hat.« Das leuchtete mir ein. Noch in der Reha schrieb ich die ersten 50 Seiten.

 

Ihre Erinnerung an die Kindheit setzt ein mit Farben und Gerüchen. Ist Erinnerung das, was wir fühlen, was wir spüren, wenn wir an die Vergangenheit denken?

Ich denke, Erinnerungen sind am tiefsten, wenn sie mit Gefühlen verknüpft sind. Und Gerüche oder Bilder wecken ja auch die angenehmen oder unangenehmen Gefühle, die man damals empfand.

 

Diese Kindheit – Ihre Kindheit – wird nicht chronologisch, der Reihe nach erzählt, sondern springt von Erinnerung zu Erinnerung, wie der junge Paul von Schlagloch zu Schlagloch springt – bis eine Schulkameradin im Kuhgespann auf die Straße biegt. Damit Paul mit dem Gespann Schritt halten kann, ändert er die Spielregeln: Die Schlaglöcher sind nicht mehr die sicheren Inseln im wogenden Ozean, sondern tiefe Löcher, die es zu vermeiden gilt. Hatten Sie einen solchen Moment, an dem die Erinnerung Fahrt aufgenommen hat?

Ja, als meine Schwester mir ein Album mit Familienfotos vorbeibrachte, das sie im Nachlass unserer verstorbenen Mutter entdeckt hatte.

 

Auch in den Erinnerungen an den Vater können sichere Inseln zu tiefen Löchern werden, wird der fröhliche Edmund zum prügelnden Vater. Wie haben Sie es geschafft, dieses Nebeneinander von Nähe und Züchtigung, Intimität und großer Distanz auszuhalten?

Dabei half mir das Urvertrauen, das ich in der frühen Kindheit aufgebaut hatte. Ich fühlte immer einen festen, unzerstörbaren Kern in mir. Ich habe es in der Episode mit dem Märchen »Der Eisenhans« beschrieben. Ich wusste, irgendwann werde ich mein Hütchen abnehmen wie der gedemütigte Königsohn, und alle würden erstaunt rufen: »Er hat ja goldene Haare!«

 

»Wie alles kam« ist der Roman einer Kindheit, in dem ein ganzes Leben steckt: das Leben von Paul Maar. Lässt sich so ein Leben denken ohne Erinnerung an die Kindheit? Und lässt sich eine Kindheit erinnern, ohne an das Leben zu denken, das ihr gefolgt ist?

Erich Kästner bedauert die Menschen, die »ihre Kindheit ablegten wie einen alten Hut«. Ich weiß nicht, wie es anderen geht. Ich selbst kann mir kein Leben denken ohne einen festen Bezug zur eigenen Kindheit. Ohne diese enge Verbindung zum Kind Paul hätte ich auch keine Kinderbücher schreiben können.

 

Vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben.

Paul Maar ist einer der beliebtesten und erfolgreichsten deutschen Kinder- und Jugendbuchautoren. Er wurde 1937 in Schweinfurt geboren, studierte Malerei und Kunstgeschichte und war einige Jahre als Lehrer und Kunsterzieher an einem Gymnasium tätig, bevor er sich als freier Autor und Illustrator ganz auf seine künstlerische Arbeit konzentrierte. Bei S. ...

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Das neue Buch von Paul Maar

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