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Heinrich Manns »Untertan« lesen III

Zu Heinrich Manns 150. Geburtstag am 27. März 2021 ist eine opulent ausgestattete Neuausgabe seines großen Romans »Der Untertan« bei S. Fischer erschienen. Wir sprachen mit dem Autor Ilija Trojanow über Heinrich Manns Roman.

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© Thomas Dorn
In einer großen Tageszeitung war neulich vom »Corona-Untertan« die Rede, der sich zur Zeit als »besonders obrigkeitshörig und staatsfromm« erweise und wie Diederich Heßling ungern die warme Stube verlasse. Was sagen Sie zu solchen Übertragungen von Heinrich Manns »Untertan« auf die Gegenwart?

Merkwürdig, dass die Obrigkeitshörigkeit just in dem Augenblick kritisch thematisiert wird, da sie ein essentielles Moment gegenseitiger Fürsorge beinhaltet. Davor wurden staatskritische Warnungen stets in den Wind geschlagen. Wer vor Jahren ein Buch mit dem Titel »Angriff auf die Freiheit« geschrieben hat, wurde als paranoider Hysteriker abgetan. Eigentlich sind jene, die jetzt zum Widerstand aufrufen, Verteidiger des Systems, weil sie spüren, dass dessen existentielle Energien (Wachstum und Konsum, Egoismus und Profit) bedroht sind. Solche scheinbar widersprüchlichen Mechanismen sind dem Roman eingeschrieben.

 

Kurt Tucholsky bezeichnet den Roman in seiner legendären Besprechung in der »Weltbühne« als »Herbarium des deutschen Mannes«. So ein Herbarium versammelt ja getrocknete Pflanzen zu Studienzwecken. Wobei es bei Heinrich Mann eher um giftige Pflanzen geht, Stichwort: toxische Männlichkeit. Was aber sagen Sie zu dem Attribut des Deutschen? Ist Diederich Heßlings Staats- und Autoritätsgläubigkeit etwas typisch Deutsches?

Sowohl Bakunin als auch Lenin, zwei Praktiker des Revolutionären, waren dieser Einsicht. Heinrich Mann selber ja auch, wie ein Brief an René Schickele zeigt: »der Roman des Deutschen müsse geschrieben werden«. Tatsache ist, dass weder die französische noch die englische Literatur einen thematisch ähnlich gelagerten Roman hervorgebracht hat. Also, so unangenehm die Verkostung dieser Kräuter sein mag, sie ermöglicht trotz der für eine Satire typischen Überspitzungen ein plausibles Porträt des »homo germanicus«. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass jene, die den hiesigen Untertanengeist anprangern, sich oft nur nach einer anderen Erniedrigung sehnen – die Rechten etwa, die dem Führerprinzip anhängen, verachten die Unterwerfung unter dem »Diktat der Siegermächte«.

 

Es gibt gerade bei denjenigen, die Heinrich Mann irgendwie gut und politisch relevant finden (bei den Kritikern sowieso), eine merkwürdige Verkürzung auf inhaltliche Schlagwörter: autoritärer Charakter, Pickelhaubengeschichte, Vorgeschichte des Faschismus etc. Dabei betreibt der Text bis in seine Form hinein, wenn man genau liest, eine funkelnde, schillernde Mikrophysik der Macht, die in ihrer Unruhe überhaupt nicht auf die üblichen Schlagwörter zu bringen ist. Wie würden Sie Heinrich Manns Stil beschreiben?

Der Stil ist großartig. Man nehme nur den ersten Satz und vergleiche ihn mit einem anderen Versuch eines personifizierten Nationalporträts, mit Thomas Manns »Doktor Faustus«. Die Sätze atmen Licht, ohne fluffig leicht zu sein. Heinrich Mann ist ein Meister der ironischen Präzision. (»Fürchterlicher als Gnom und Kröte war der Vater, und obendrein sollte man ihn lieben.« Das »obendrein« ist wichtig, weil es elegant auf Hierarchie hinweist, auf die von Ihnen angesprochene Mikrophysik der Macht.) Immer wieder eröffnen konkrete Wörter Resonanzräume des Grundlegenden. Zudem erklingt im Tonfall etwas Mündliches, zum einen durch alltägliche Redewendungen (»er war der falscheste Hund von allen«), durch den Rhythmus und die Sprechweisen der Figuren (Heinrich Mann hat ein untrügliches Ohr für Soziolekte, wie die Pennäler in »Professor Unrat« reden, so etwas gibt es ansonsten nur in den allerbesten amerikanischen TV-Serien). Teilweise liest es sich wie der Auftritt eines literarisch hochbegabten Kabarettisten, so lebendig und spritzig und auf den Punkt gebracht. Und deswegen entsteht zwischen Autor und Lesenden eine intime Beziehung, fast eine Freundschaft.

 

Sie sprechen und arbeiten ja auch immer wieder mit jungen Menschen, die schreiben wollen. Würden Sie Nachwuchsschriftsteller*innen Heinrich Mann empfehlen?

Ja, unbedingt, die deutschsprachige Literatur wäre besser, wenn die Schreibenden sich eher an Heinrich als an Thomas Mann orientieren würden. Die schon erwähnte Klarheit und Präzision des Stils, die kosmopolitische Neugier, die Freiheit des Denkens und die Relevanz der Themen. Und vor allem die Erzählenergie. Mehr davon!

 

Es gibt im Roman die berühmte Szene, in der Diederich Heßling beim Hoffriseur »seinen Schnurrbart in zwei rechten Winkeln hinaufführen«, sich also einen Kaiser-Bart machen lässt, um danach im Spiegelbild das so erregende wie furchteinflößende »Gesicht der Macht« zu sehen. Was passiert da und was haben aus Ihrer Sicht solche irren, vor allem irre genau beschriebenen Szenen mit unserer Gegenwart zu tun?

Da denke ich gleich an die gegenwärtige Hörigkeit gegenüber Influencern. Neulich erst habe ich einen Artikel gelesen, in dem berichtet wurde, dass die Hälfte der jungen Bevölkerung Influencern folgt und/oder selber eine/einer werden möchte. Ein stark kollektives Element in einer vermeintlichen Ekstase des Individualismus. Diederich Heßling hingegen zieht sein gesamtes Selbstbewusstsein aus dem völkischen Kollektiv. Aber es herrscht dort und hier die Dialektik einer Anpassung, die relevant und dominant sein will.

Ilija Trojanow, geboren 1965 in Sofia, floh mit seiner Familie 1971 über Jugoslawien und Italien nach Deutschland, wo sie politisches Asyl erhielt. 1972 zog die Familie weiter nach Kenia. Unterbrochen von einem vierjährigen Deutschlandaufenthalt lebte Ilija Trojanow bis 1984 in Nairobi. Danach folgte ein Aufenthalt in Paris. Von 1984 bis ...

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Die große Neuausgabe von »Der Untertan«

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